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Moderne Adipositastherapie in der Schwerpunktpraxis Ernährungsmedizin | Medizin

Unter der Rubrik „Leben“ erschien heute, am 24. Januar 2016 in der FAS der Artikel „Mein Bauch, mein Leben und ich“. Es ist ein Textauszug aus dem Buch „Weil ich ein Dicker bin. Szenen eines Lebensgefühls“ von Bertram Eisenhauer, das am morgigen Montag erscheint. Hier beschreibt ein Mann seinen inneren und äußeren Leidensweg durch sein massives Übergewicht. Man bekommt sehr eindrucksvoll eine Vorstellung davon, wie schwer dieser Weg mit Adipositas ist und wieviel schwerer erst ein Abnehmen ist.

Die dort beschriebene Methode mit dem alleinigen Mahlzeitenersatz (Formuladiät) ist eine „Very low calory diet“, also eine Diät mit sehr niedriger Kalorienzufuhr (<1000 kcal/d) bei optimaler Versorgung mit allen vom Körper benötigten Nährstoffen (Makro- und Mikronährstoffen). Damit ist gewährleistet, dass es zu keinen körperlichen Mangelzuständen kommt.

Diese Ernährungstherapie erfordert eine ausführliche ärztliche Diagnostik und engmaschige Begleitung und wird zu Beginn einer langfristigen erheblichen Gewichtsreduktion eingesetzt. Solch eine Formuladiät wird zur Behandlung der krankhaften Adipositas nach den Leitlinien der Fachgesellschaften dann eingesetzt, wenn eine Kalorienreduktion durch Einsparung von Fett und/oder Kohlenhydraten nicht zum Erfolg geführt hat. Erst wenn auch diese Methode nicht zur gewünschten Gewichtsreduktion führt, kann eine operative Behandlung erwogen werden.

Das in dem Buch beschriebene Programm entspricht dem Optifast®-Programm und ist auf 1 Jahr ausgerichtet. In den ersten 12 Wochen werden ausschließlich Shakes getrunken oder ersatzweise Suppen gegessen. In dem Text wird dabei deutlich, dass dies zu einem erheblichen Verlust des Genusses und  der Befriedigung durch das Essen kommt. „Es scheint, als habe das Leben seine Fülle verloren, seine Textur, seinen Crunch. Sogar die Farben der Dinge um mich herum kommen mir wie ausgewaschen vor.“ So wird es sehr schwer, dies auch wirklich 12 Wochen durchzuhalten. Die Abbruchrate ist dadurch sicherlich hoch, wobei mir darüber keine konkreten Zahlen bekannt sind.

Nach meinen Erfahrungen ist die befriedigende und „glücklich machende“ Wirkung des Essens für die psychische Gesundheit so wichtig, dass es nicht sinnvoll ist, komplett auf normale Nahrungsmittel zu verzichten. Wir essen nicht nur zur Nahrungsaufnahme. Und Menschen, die Gewichtsprobleme haben schon gar nicht. Und irgendwann muss ja sowieso wieder auf eine ausgewogene Ernährung ohne Mahlzeitenersatz zurückgekommen werden, was meiner Meinung nach erheblich schwieriger ist, je länger ausschließlich Shake getrunken wird.

Wir haben sehr gute Erfahrungen mit dem Mahlzeitenersatzprogramm von Bodymed gemacht, das auch auf die zu befriedigenden Bedürfnisse durch das Essen an sich eingeht. Wir setzen für unsere Niedrig-Kalorien-Diät das Hepafast® ein, das mit 3 Shakes am Tag die komplette Nährstoffversorgung gewährleistet. Nur Vitamin D und Mineralien sollten noch aus anderen Quellen zugeführt werden. Falls der Geschmack einen langweilt, können wir auf das Sana-Fit® zurückgreifen, das es in 11 verschiedenen Geschmacksrichtungen gibt. Auch Suppen und Riegel stehen zur Abwechslung zur Verfügung. Zusätzlich darf nach bestimmten Regeln gegessen werden, was meiner Meinung nach für die Akzeptanz von erheblicher Bedeutung ist.

Bei der Niedrig-Kalorien-Diät, auch als „Leberfasten nach Dr. Worm“ bekannt, darf zusätzlich Gemüse und Salat in allen erdenklichen Variationen aber ohne Kohlenhydrate zusätzlich zu 2 von 3 Mahlzeiten gegessen werden. Das befriedigt die Geschmacksnerven, macht satt und legt die Grundlage für „das Leben danach“. In den von Ärzten und Ernährungsberatern geleiteten Schulungen wird auf die Wichtigkeit von Gemüse und Salat in der Langzeitgewichtsreduktion und beim nachfolgenden Halten des Gewichts immer wieder hingewiesen. Bei einer Lockerung der Reduktionsdiät kann bei zweimaliger Einnahme von Shakes eine Mahlzeit am Tag normal gegessen werden, wobei auf eine eiweißreiche, kohlenhydratreduzierte Zusammenstellung der Nahrungsmittel nach der LOGI-Pyramide geachtet werden soll. Auch hier ist die Basis wieder Gemüse und Salat.

Wie lange eine solche Formuladiät durchgeführt wird, ist individuell sehr unterschiedlich und hängt vom Ausmaß des Übergewichts und den persönlichen Zielen und Möglichkeiten ab. Zu einer alleinigen Stoffwechselumstellung bei Fettleber (NAFLD) reicht es meist aus, die Niedrig-Kalorien-Diät 2 Wochen lang durchzuführen. Bereits nach dieser kurzen Zeitspanne können beeindruckende Verbesserungen der Befindlichkeit, der Laborwerte (Blutzucker, Fette und Leberwerte), der Blutdruckeinstellung und des Medikamentenbedarfs verzeichnet werden. Kein Medikament ist hierzu in der Lage!

Aber das alles reicht nicht aus, wenn wir es in dieser Zeit der intensiven Beratung nicht schaffen, die Patienten zu motivieren, mehr Eigenverantwortung für ihre Gesundheit zu übernehmen und langfristig etwas an ihrer Ernährung und Lebensweise zu ändern. Daher ist ein Großteil unseres Engagements auf die  Motivation zu mehr Eigeninitiative ausgerichtet. Wir bieten individuelle Ernährungsberatung, psychologische Beratung und Coaching, Entspannungsverfahren und Achtsamkeitstraining an. Wir fördern die körperliche Bewegung durch individuelle Bewegungs- und Sportberatung, Nordic Walking und verordnen Reha-Sport. Da auch unter optimalen Bedingungen und viel Eigenmotivation nicht immer das gesetzte Ziel erreicht werden kann, haben wir auch die Möglichkeit, die Behandlung medikamentös zu unterstützen. Erst wenn auch diese Therapie versagt ist es sinnvoll, über eine adipositaschirurgische Maßnahme nachzudenken. Dann übernehmen wir einen Teil der Vorbereitung und der Nachsorge. Denn so ein Eingriff ist schwerwiegend, massiv eingreifend in die natürlichen Körperfunktionen und nicht rückgängig zu machen. Manchmal ist es aber der einzig wirksame Weg.

Heute wissen wir, dass die Langzeitergebnisse der Adipositaschirurgie nicht so gut sind, wie erhofft. Falls nach der Operation nicht weiter streng bilanzierte Diät gehalten wird und regelmäßig kontrolliert Nahrungsergänzungsmittel eingenommen werden, kommt es zu erheblichen Mangelerscheinungen. Auch kommt es nach Jahren in vielen Fällen erneut zu einer massiven Gewichtszunahme mit Diabetes und allen anderen Folgeerkrankungen, insbesondere dann, wenn man sich die Patienten nicht ausreichend bewegen. Adipositas ist eine chronische Erkrankung mit vielen Faktoren, die eine lebenslange kompetente, interdisziplinäre und intensive Betreuung erfordert. Dies ist in unserem Gesundheitssystem bisher in keiner Weise abgebildet. Adipositas ist als Krankheit in Deutschland nicht voll anerkannt, so dass die meisten Leistungen Selbstzahlerleistungen sind.  Die überwiegende Mehrzahl der Ärzte ist dafür nicht ausgebildet und verfügt über kein geeignetes Netzwerk. Die Patienten werden einfach mit ihrem Problem allein gelassen. Die Folgen sind Depressionen, Gelenkprobleme und Diabetes mit all seinen Folgeerkrankungen. Außerdem besetzen viele unseriöse Heilsbringer diese Lücken und verschlechtern die Voraussetzung für einen professionellen Ansatz.

Durch den Berufsverband deutscher Ernährungsmediziner e.V. wurde deswegen vor Jahren die „Schwerpunktpraxis Ernährungsmedizin BDEM“ ins Leben gerufen, um all diese Strukturen unter einem Dach anzubieten. Es wird Zeit, dass die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer verbesserten und breit eingesetzten Therapie auch von den deutschen Krankenkassen anerkannt und zumindest anteilig finanziert wird, wie es schon in der Schweiz oder den Niederlanden seit Jahren üblich ist. Trotz all dieser Schwierigkeiten versuchen wir gemeinsam mit unseren Patienten einen Weg zu finden, damit eine Gewichtsabnahme für ein leichteres Leben möglich ist. Nur wenn wir es schaffen, den einzelnen Menschen dort abzuholen, wo er steht um ihm eine individuelle Unterstützung anzubieten, können wir auf diesem Gebiet erfolgreich sein.

Das ist unsere Mission und daran arbeiten wir.